Spartakist Nr. 187 |
März 2011
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Freiheit für Bradley Manning! Hände weg von Julian Assange!
WikiLeaks, imperialistische Lügen und Vergeltung
Der folgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard
Nr. 971 (7. Januar), Zeitung der Spartacist League/U.S.
Nachdem WikiLeaks etwa 250 000 Depeschen des US-Außenministeriums
veröffentlicht hatte, folgte eine bösartige Vergeltungskampagne der Herrscher
des US-Imperialismus gegen Julian Assange, Gründer der Website, und den
Gefreiten Bradley Manning, der beschuldigt wird, Geheimmaterial zugänglich
gemacht zu haben. Generalstaatsanwalt Eric Holder bereitet Berichten zufolge
Anklageerhebung vor gegen Assange, einen australischen Staatsbürger,
möglicherweise unter dem Espionage Act [Spionagegesetz] von 1917. Manning droht
ein Verfahren vor dem Kriegsgericht und im Falle einer Verurteilung bis zu 52
Jahren Haft. Er zog Washingtons Zorn auf sich, als letzten April das Video eines
US-Kriegsverbrechens in Bagdad bei WikiLeaks eingestellt wurde. Es zeigte, wie
ein Apache-Helikopter mindesten 12 Menschen niederschoss und tötete, darunter
zwei Reuters-Journalisten, und wie die Piloten sich an dem Blutbad ergötzen.
Manning – falls er wirklich die Quelle der durchgesickerten
Informationen war – und Assange sind mutige Leute, die einen lobenswerten Dienst
erwiesen haben, indem sie, wenn auch nur ein bisschen, den Schleier der
Geheimhaltung und der Lügen gelüftet haben, der die Machenschaften der
Imperialisten verhüllt. Sie verdienen es nachdrücklich, von Arbeitern und
Unterdrückten der Welt verteidigt zu werden. In einer Reihe von Ländern gab es
Proteste in Verteidigung von Assange, und der größte australische
Gewerkschaftsverband Australian Council of Trade Unions hat sich für ihn
eingesetzt. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die internationale
Arbeiterklasse WikiLeaks und Assange verteidigt und auch Freiheit für den
Gefreiten Manning fordert, der unter qualvollen Bedingungen in Einzelhaft auf
dem Marinestützpunkt Quantico, Virginia, festgehalten wird.
Obwohl man das angesichts der wütenden Reaktion der Obama-Regierung
auf die kürzlich durchgesickerten Informationen kaum vermuten würde, enthalten
sie tatsächlich wenig an dramatisch neuen Enthüllungen. Die Imperialisten sind
einfach außer sich, wenn auf ihre Handlungen auch nur das kleinste Licht
geworfen wird. Sicher sind einige der Depeschen recht peinlich für die USA und
ihre Klientenstaaten. So enthüllen die durchgesickerten Dokumente, dass die NATO
einen geheimen Militärplan entwickelt hat für die Verteidigung Polens und der
baltischen Staaten gegen Russland. Es wird enthüllt, dass Saudi-Arabien, Bahrain
und andere arabische Länder die USA drängen, einen Militärschlag gegen Irans
Programm für nukleare Anreicherung zu führen, was erneut zeigt, dass Iran
Atomwaffen braucht, um einen Angriff der USA oder ihres
Stellvertreters Israel abzuschrecken. Und es wird gezeigt, dass Palästinensische
Autonomiebehörde und libanesische Regierung mit Israel zusammenarbeiten, um die
Hamas bzw. die Hisbollah aufs Korn zu nehmen.
Die Depeschen liefern auch eine Insider-Sicht über die
eigenmächtigen Operationen des US-Imperialismus innerhalb der Grenzen seiner
Klientenstaaten. Sie zeigen, wie sich die USA an der operationellen Führung des
„Drogenkriegs“ in Mexiko beteiligten, von der Entwicklung der allgemeinen
Strategie bis dahin, Einzelpersonen ins Visier zu nehmen. US-Beamte im Jemen
handelten mit dem Präsidenten des Landes einen Plan aus, US-Luftangriffe auf
vermutete Al-Qaida-Lager als Angriffe der jemenitischen Regierung zu tarnen,
auch wenn dabei Zivilisten in die Luft gejagt werden. Um es mal gelinde
auszudrücken: Solche Enthüllungen sind den Imperialisten oder ihren Handlangern
nicht dienlich. Unter den Depeschen ist auch ein Bericht des US-Botschafters in
Honduras über den Sturz des populistischen Präsidenten Manuel Zelaya im Juni
2009, in dem die Aktionen „des Militärs und/oder wer auch immer diesen Putsch
anordnete“ als „illegal“ bezeichnet wurden. Wie auch immer, die Obama-Regierung
hat die Regierung unterstützt, die dieser Putsch zur Macht brachte.
Besonders zu vermerken ist der Fall des Folteropfers Khaled
El-Masri, der in einer Reihe der durchgesickerten Dokumente angesprochen wird.
El-Masri, deutscher Staatsbürger libanesischer Herkunft, wurde Ende 2003 bei
einem Urlaub in Mazedonien ergriffen und in ein geheimes CIA-Gefängnis in
Afghanistan gebracht, wo er in Einzelhaft gehalten, vernommen und geschlagen
wurde. Sogar nachdem die CIA sich sicher war, dass El-Masri nicht derjenige war,
den sie suchten (sein Name ähnelt einem der Verdächtigen der Angriffe des 11.
September 2001), hielten sie ihn weiter ohne Kontakt zur Außenwelt fest, denn
„er wusste zu viel“. Schließlich, nach fast fünfmonatiger Gefangenschaft, wurde
El-Masri in einem entlegenen Teil Albaniens abgesetzt, ohne jemals irgendeines
Verbrechens angeklagt worden zu sein.
Die von den US-Botschaften in Deutschland, Spanien und Mazedonien
2006 und 2007 geschickten Depeschen über El-Masri bestätigen, was lange vermutet
worden war: Berlin setzte die Haftbefehle gegen 13 CIA-Agenten nicht durch, die
angeklagt waren, an der Entführung dieses deutschen Staatsbürgers beteiligt
gewesen zu sein, denn Washington übte starken Druck aus und warnte vor
„potenziell negativen Auswirkungen für unser bilaterales Verhältnis“, falls der
Fall weiterverfolgt werden sollte.
Obamas Weißes Haus: brutal und rachsüchtig
Nach der Veröffentlichung des Videos über den Helikopterangriff in
Bagdad veröffentlichte WikiLeaks etwa 76 000 geheime Militär-Feldberichte aus
der Afghanistan-Besatzung, die die Brutalität dokumentieren, die
imperialistische Kräfte gegenüber Zivilisten begingen, einschließlich
CIA-geführte Kräfte, die aus Basen entlang der Grenze zu Pakistan operierten.
Dann veröffentlichte WikiLeaks im Oktober fast 400 000 Feldberichte über den
Irakkrieg und die Besatzung, in denen mehr als 109 000 Todesfälle aufgeführt
werden, hauptsächlich Zivilisten.
Die Obama-Regierung schlug wütend gegen den Gefreiten Manning los
und setzte ihn unmenschlichen Gefängnisbedingungen aus, die klar dazu dienen
sollen, seinen Willen zu brechen. Seit seiner Verhaftung letzten Mai wird
Manning in Einzelhaft festgehalten. Es ist ihm nicht erlaubt zu trainieren oder
Fernsehnachrichten zu sehen; Wärter sehen alle fünf Minuten nach ihm; in seiner
Zelle brennt dauernd ein Licht, auch wenn er versucht zu schlafen. Der
Journalist David House, der einzige außer Mannings Anwalt, der ihn im Gefängnis
besucht, sagt: „Er wird schon vor seinem Prozess unter Bedingungen festgehalten,
die ihn irgendwie bestrafen sollen, und dies schwächt eindeutig seinen
Geisteszustand“ (BBC News, 24. Dezember 2010).
Manning ist, wie Assange richtig sagte, ein politischer Gefangener.
Währenddessen steht Assange unter Hausarrest in Britannien und kämpft gegen
einen Auslieferungsantrag Schwedens wegen angeblicher „Vergewaltigung“ und
„sexueller Belästigung“. Diese Anschuldigungen – die auf Anklagen wegen
ungeschützten Sex hinauslaufen, und zwar in allem Anschein nach einvernehmlichen
Beziehungen – sind offenkundig erfunden. Staatsanwälte in Schweden eröffneten
erst eine Untersuchung über die Anschuldigungen, die von einigen
WikiLeaks-Groupies gemacht wurden, dann ließen sie sie fallen, und dann
eröffneten sie sie erneut. Tatsache ist: Assange ist keinerlei Verbrechens
angeklagt.
Assange wies darauf hin, dass die wirkliche Bedrohung für ihn eine
mögliche Auslieferung an die USA ist, wo Politiker sowohl der Demokraten als
auch der Republikaner lauthals seinen Kopf fordern. Vizepräsident Joe Biden und
dann auch der republikanische Minderheitsführer im Senat Mitch McConnell
brandmarkten Assange als „High-Tech-Terrorist“. Die Drohung, die dahinter steht,
machte Tom Flanagan explizit, ein früherer Berater des kanadischen
Premierministers Stephen Harper: Er erklärte, Assange „sollte ermordet
werden“.
Assange ist im Wesentlichen ein leidenschaftlicher liberaler
Kritiker imperialistischer Politik. Ende der 1990er-Jahre war er an der
Entwicklung eines Verschlüsselungsprogramms namens Rubberhose beteiligt, das
Aktivisten in Gegenden wie Osttimor, Russland, Kosovo, Guatemala, Irak, Sudan
und Kongo nutzen konnten, um sensible Daten zu schützen. 2009 verlieh Amnesty
International Assange den Medienpreis für eine WikiLeaks-Untersuchung darüber,
wie Regierungskräfte in Kenia Hunderte junger Männer getötet hatten. Die
Tatsache, dass Sprecher der US-Regierung darüber diskutieren, Assange auf Basis
des Spionagegesetzes von 1917 zu belangen, ist eine kristallklare Demonstration,
wie die kapitalistischen Herrscher „nationale Interessen“ beschwören, um rigoros
gegen ihre Kritiker vorzugehen. Inzwischen haben Bank of America, MasterCard,
PayPal und Visa Europe alles in ihrer Macht stehende getan, um dabei zu helfen,
Assanges Website zu schließen, indem sie Zahlungen an WikiLeaks blockierten.
Der Espionage Act war Teil eines ganzen Arsenals unterdrückerischer
Maßnahmen, die der US-Imperialismus nach seinem Eintritt in den Ersten Weltkrieg
ergriff, um Aktivitäten gegen den Krieg zu kriminalisieren. Das Gesetz sah
Gefängnis für jede Handlung vor, die als Behinderung der Soldatenrekrutierung
angesehen wurde. Erschreckt vom Gespenst der bolschewistischen Revolution von
1917, die Russland dem kapitalistischen Markt entriss und seine Kriegsteilnahme
beendete, verabschiedete der US-Kongress 1918 den Sedition Act [Gesetz gegen
Volksaufwiegelung], der es zum Verbrechen erklärte, die „Regierungsform der USA“
zu kritisieren.
Unter den ersten und prominentesten Opfern des Spionagegesetzes war
Eugene Debs, Sprecher der Sozialistischen Partei, der wegen einer Rede ins
Gefängnis geworfen wurde, die er im Juni 1918 bei einer Arbeiterversammlung in
Canton, Ohio, hielt, wo er den Krieg als kapitalistische Schlächterei
anprangerte und den bolschewistischen Führern der Oktoberrevolution seinen
Tribut zollte. Das gleiche Gesetz wurde 1953 angewandt, auf dem Höhepunkt des
Kalten Kriegs, um Julius und Ethel Rosenberg hinzurichten. Sie wurden angeklagt,
während des Zweiten Weltkriegs für die Sowjets spioniert zu haben, zu einer
Zeit, als die USA und die UdSSR Verbündete waren. Wie ihr Sohn Robert Meeropol
in einem Statement zur Verteidigung Assanges vom 29. Dezember erklärte, machte
der Espionage Act „abweichende Meinungen zu Verrat“. Anfang der 1970er-Jahre
versuchte die Nixon-Regierung vergeblich das Gesetz gegen Daniel Ellsberg
anzuwenden, dessen Weitergabe der Pentagon-Papiere an die New York Times
ein Schlaglicht auf die Geschichte des Kriegs des US-Imperialismus gegen die
vietnamesischen Arbeiter und Bauern warf.
Zwar weiß niemand genau, was die Obama-Regierung gegen Assange im
Schilde führt, aber es steht außer Frage, dass die Vendetta gegen ihn
bedrohliche weitere Angriffe gegen Redefreiheit, Pressefreiheit und andere
demokratische Rechte ankündigt. Die New York Times (11. Juni 2010)
schrieb in einem Kommentar über den Fall eines Geheimdienst-Beraters, gegen den
das Spionagegesetz angewandt wurde, weil er offenlegte, was er als
verschwenderische Ausgaben für Abhörprogramme ansah: „Die Obama-Regierung zeigt,
dass sie aggressiver vorgeht als die Bush-Regierung, um unautorisiertes
Durchsickern von Informationen zu bestrafen.“ Wie wir wiederholt betont haben:
Barack Obama, der mit breiter Unterstützung von Liberalen und Linken ins Amt
kam, führt einfach seine Aufgaben als Oberbefehlshaber des US-Imperialismus aus
– von der Ausweitung der mörderischen Besatzung Afghanistans zum Verschärfen der
Angriffe auf demokratische Rechte im Namen des „Kriegs gegen Terror“.
Bolschewiki kontra Geheimdiplomatie
Die wütende Reaktion der Obama-Regierung auf die
WikiLeaks-Enthüllungen zeigt, welche Bedeutung die Herrscher des
kapitalistischen Imperialismus der Geheimdiplomatie beimessen, die, wie der
revolutionäre Führer Leo Trotzki im November 1917 erklärte, „für eine besitzende
Minderheit, die gezwungen ist, die Mehrheit zu täuschen, um sie ihren Interessen
zu unterwerfen, ein notwendiges Werkzeug“ ist. Das erklärte Trotzki in einem
Statement, das er als Volkskommissar für äußere Angelegenheiten des sowjetischen
Arbeiterstaats herausgab, der gerade aus der Oktoberrevolution hervorgegangen
war. Trotzki gab Veröffentlichung und Außerkraftsetzung von Geheimverträgen
bekannt, die das vorherige Zarenregime und die bürgerliche Provisorische
Regierung mit ihren imperialistischen Verbündeten ausgeheckt hatten.
Schon bevor das Proletariat die Macht eroberte, hatte die
bolschewistische Partei die Abschaffung der Geheimdiplomatie und die
Veröffentlichung der Geheimverträge gefordert – das war Teil ihrer
revolutionären proletarischen Opposition gegen den Ersten Weltkrieg, einen
Konflikt zwischen konkurrierenden Imperialisten um die Neuaufteilung der Welt.
Diese Forderung wurde gegen die Provisorische Regierung aufgestellt, die nach
dem Sturz des Zaren in der Februarrevolution 1917 zur Macht kam und Russlands
Kriegsbeteiligung fortsetzte.
Unmittelbar nach der Oktoberrevolution gab der Arbeiterstaat ein
Friedensdekret heraus, das Russland aus dem Krieg herauszog und von den
Kriegsteilnehmern einen „gerechten, demokratischen“ Frieden forderte, ohne
Annexion oder Reparation. Zwei Wochen später begann die sowjetische Zeitung
Iswestija damit, Verträge zu veröffentlichen, die während des Krieges
abgeschlossen worden waren. Der Historiker E. H. Carr bemerkte in Bd. 3 von
The Bolshevik Revolution, 1917-1923, dass die Veröffentlichung der
Verträge in englischer Sprache im Manchester Guardian britische Radikale
elektrisierte und „in den Vereinigten Staaten Aufsehen erregte“. Eugene Debs
erklärte in seiner oben erwähnten Rede in Canton: „Als die Bolschewiki an die
Macht kamen und die Archive durchforsteten, fanden sie die Geheimverträge und
machten sie öffentlich – Verträge zwischen dem Zaren und der französischen
Regierung, der britischen Regierung und der italienischen Regierung, in denen
vorgeschlagen wurde, nach der Erringung des Sieges das Deutsche Reich zu
zerstückeln und die Mittelmächte zu zerstören. Diese Verträge wurden niemals
geleugnet oder widerrufen.“
Die Oktoberrevolution war ein Leuchtfeuer für die Ausgebeuteten und
Unterdrückten in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und in der
kolonialen und halbkolonialen Welt. Zusammen mit der sowjetischen Annullierung
räuberischer Verträge, die frühere Regimes abgeschlossen hatten, unterstützte
die Veröffentlichung der Verträge das Aufflammen von Wellen von Kämpfen der
Menschen, die unter dem Stiefel der Imperialisten standen, deren dreckige Deals
jetzt bloßgelegt waren.
Einer der ersten Verträge, die aufgedeckt wurden, war das
Übereinkommen vom Mai 1916 zwischen Mark Sykes aus Britannien und Francois
Georges-Picot aus Frankreich, in dem das Aufteilen des Osmanischen Reiches
zusammen mit der Aufteilung Deutschlands geplant wurde, in Erwartung derer
Niederlage im Ersten Weltkrieg. Das zaristische Russland stimmte diesem Pakt
unter der Bedingung zu, dass es einen Teil Ostanatoliens und Konstantinopels
(Istanbul) mit den Dardanellen bekäme, eine zentral wichtige Passage zwischen
dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Die Aufdeckung dieses Deals, der bei
Kriegsende zu Gunsten Britanniens revidiert wurde, hatte eine elektrifizierende
Wirkung im Nahen Osten, dessen Völker erwartet hatten, dass eine Niederlage der
Osmanen ihre Selbstbestimmung zur Folge haben würde. Streiks und Demonstrationen
überrollten 1919 Ägypten, und im Jahr darauf erhoben sich die Massen in
Mesopotamien (dem heutigen Irak) gegen die mehr als 130 000 Mann starken
britischen Besatzer. Die Sowjetregierung machte auch Pläne des zaristischen
Regimes und der Imperialisten zunichte, Persien (Iran) aufzuteilen.
Eine ähnliche Auswirkung gab es in China; ganze Stücke des Landes
waren von den westlichen und japanischen Imperialisten aufgeteilt worden. Die
Sowjets veröffentlichten einen Geheimvertrag, der 1916 von Japan und Russland
unterzeichnet worden war und eine Reihe früherer geheimer Abkommen bekräftigte,
die die Mandschurei im Nordosten Chinas in japanische und russische
Einflusssphären aufteilen sollten. Auch andere Gebiete wie die Innere Mongolei
waren für Ähnliches vorgemerkt. Dass die Bolschewiki die zaristischen Annexionen
und Machenschaften in China zurückwiesen, machte einen tiefen Eindruck auf
herausragende radikale Intellektuelle und auf Studenten, die nach dem Krieg nach
China zurückkehrten. Viele der Studenten hatten Illusionen in die Versprechen
des US-Präsidenten Woodrow Wilson über „Selbstbestimmung“ und soziale
Gerechtigkeit für alle Völker. Aber mit dem Versailler Vertrag von 1919
vermachten die USA und andere Imperialisten das gesamte Territorium der
besiegten Deutschen in China dem japanischen Reich. Dies rief eine Welle von
Massenprotesten hervor, bekannt als Bewegung des 4. Mai, und einige der Führer
dieser Bewegung waren später daran beteiligt, die Kommunistische Partei Chinas
zu gründen.
Eine revolutionäre Perspektive
Eine Anzahl reformistischer „sozialistischer“ Organisationen auf
der ganzen Welt haben sich angesichts der WikiLeaks-Enthüllungen positiv auf die
sowjetischen Veröffentlichungen von Geheimverträgen bezogen – aber sie
behaupten, zwischen beidem gäbe es eine direkte Verbindung. Julian Assange hat
den Ausgebeuteten und Unterdrückten einen wertvollen Dienst erwiesen, aber er
ist, was er nun mal ist: ein bürgerlicher Liberaler, der vergebens versucht, das
imperialistische System von seinen schlimmsten Exzessen zu befreien, indem seine
Verbrechen aufgedeckt werden. Die Bolschewiki hatten ein anderes Ziel. Sie
legten die Taten der vorherigen Herrscher Russlands und derer imperialistischen
Paten und Verbündeten bloß und trugen so dazu bei, die Arbeiterklasse in
Russland und international zu schulen. Ihr Programm war, die Oktoberrevolution
international auszuweiten, was, wie sie wussten, der einzige Weg war, eine
sozialistische Gesellschaft zu erreichen. Aber die revolutionäre Welle, die mit
und nach dem Ersten Weltkrieg durch Deutschland und andere europäische Länder
rollte, schaffte es nicht, die Herrschaft des Kapitals zu stürzen, und der
zentrale Grund dafür war, dass eine gestählte Avantgardepartei fehlte, wie sie
W. I. Lenin in Russland aufgebaut hatte.
Der junge sowjetische Arbeiterstaat hielt seine revolutionäre
internationalistische Perspektive und sein Programm aufrecht, musste aber doch
diplomatische Absprachen mit der kapitalistischen Welt eingehen. So
unterzeichneten die Sowjets den Rapallo-Vertrag, der es dem deutschen Militär
und seinen industriellen Zulieferern ermöglichte, den Betrieb auf sowjetischem
Territorium aufzunehmen. Dies gab zwar den deutschen Militaristen die
Möglichkeiten, sich wieder zu bewaffnen, aber es verschaffte auch die Mittel zur
Mechanisierung und Modernisierung der Roten Armee und verbundener Zweige der
sowjetischen Industrie. Dieser Teil des Rapallo-Vertrags musste vor den
siegreichen Entente-Mächten geheim gehalten werden. Trotzki schrieb über die
revolutionäre bolschewistische Regierung: „Natürlich täuschte sie den
Klassenfeind, wo immer sie konnte; auf der anderen Seite sagte sie den Arbeitern
die Wahrheit, die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit. Nur dank dem
gewann sie das Vertrauen der Arbeiter in einem Maße, wie nie zuvor eine andere
Partei in der Welt“ (Ihre Moral und unsere, 1938).
Nach der Niederlage der Deutschen Revolution von 1923 war der
sowjetische Arbeiterstaat, der sehr unter den Auswirkungen des
interimperialistischen Krieges und des Bürgerkriegs nach der Revolution gelitten
hatte, isoliert. Unter den Bedingungen des Mangels trat eine neue konservative
und bürokratisierte Schicht in Partei und Staatsapparat unter Führung von Josef
Stalin in den Vordergrund, die beginnend 1923/24 die politische Macht an sich
riss. Anstelle des Banners der sozialistischen Weltrevolution stellte Stalin
1924 das falsche Dogma des „Sozialismus in einem Land“ auf, aus dem sich dann
dazu passend unvermeidlich die „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus
entwickelte. Im Verlauf der Zeit, gegen die Opposition Trotzkis und seiner
Anhänger, die darum kämpften, das Programm der Oktoberrevolution aufrecht zu
erhalten, wurden dann die Kommunistischen Parteien aus Werkzeugen der Revolution
in Werkzeuge der Klassenkollaboration verwandelt.
Trotzki vermerkte in Verratene Revolution (1936), seiner
klassischen Analyse der stalinistischen Bürokratie: „Die Außenpolitik ist immer
und überall eine Fortsetzung der Innenpolitik, denn sie wird von derselben
herrschenden Klasse betrieben und verfolgt historisch dieselben Aufgaben. Die
Entartung der herrschenden Schicht in der UdSSR musste mit einer entsprechenden
Änderung in den Zielen und Methoden der Sowjetdiplomatie einhergehen.“
Trotzkisten verteidigten den degenerierten sowjetischen Arbeiterstaat
bedingungslos gegen Imperialismus und innere kapitalistische Konterrevolution,
aber gleichzeitig kämpften wir für proletarisch-politische Revolution, um die
Bürokratie zu stürzen und zum Weg der Oktoberrevolution zurück zu kehren.
Der Verrat der Bürokratie führte schließlich dazu, dass 1991/92 die
Oktoberrevolution durch die kapitalistische Konterrevolution endgültig zunichte
gemacht wurde. Seither sind die Imperialisten, die hämisch über den „Tod des
Kommunismus“ frohlocken, dreister denn je bei ihrem Amoklauf von Irak bis
Afghanistan und bei ihrem Angriff auf demokratische Rechte und den
Lebensstandard von Arbeitern „zu Hause“. Liberale und die reformistische Linke
klammern sich an Enthüllungen über die (tagtäglichen) Machenschaften der
kapitalistischen Herrscher – Desinformation, politische Geheimpolizei,
Ermordungen etc. –, um die Imperialisten unter Druck zu setzen, eine
„menschlichere“ Politik zu verfolgen. Unser Ziel ist es, eine Arbeiterpartei
nach dem Vorbild der Bolschewiki aufzubauen. Der Imperialismus und seine
brutalen Kriege und Besetzungen, die der Öffentlichkeit durch systematische
Lügen und Täuschungen verkauft werden, wird erst durch erfolgreiche
proletarische Revolution besiegt werden, die, international ausgeweitet, die
Grundlage legen wird für die Befreiung der gesamten Menschheit in einer
zukünftigen kommunistischen Welt.
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